Ottmar L. Braun, Klaus Lange
Geschichten um das Telefon aus den neuen Bundesländern - Bürger diskutieren ihre Erfahrungen mit dem Telefon im privaten Alltag
Nr. 113 / Juli 1993 Zusammenfassung
Ein zentrales Ergebnis der mit neun Fokusgruppen in den neuen Bundesländern im Frühjahr 1993 durchgeführten Gruppendiskussionen war der Befund, daß in den neuen Bundesländern auch schon vor der Wende ein realtiv hoher Grad an Telefonsozialisation anzutreffen war.
Auf Grund der geringen Telefondichte in der DDR hätte man erwarten können, daß persönliche Erfahrungen mit dem Telefon noch nicht sehr ausgeprägt sind. Oft verkannte Tatsache ist jedoch, daß über die private Nutzung des Telefons am Arbeitsplatz und mittels einer mitunter sehr intensiven telefonischen Nachbarschaftshilfe in großen Bevölkerungskreisen schon äußerst elaborierte Nutzungsweisen vorlagen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß es große Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Bevölkerungskreisen gibt; zudem ist der Grad der Telefonsozialisation von Bildungsstand und/oder Art der Berufstätigkeit abhängig.
Die Erwartungen hinsichtlich des Telefons waren so positiv, daß sich die Mehrheit ohne große Überlegungen bzw. Kosten-Nutzen-Kalküle für das Telefon entschieden hat. Eine Nichtantragstellung erklärt sich primär aus Informationsdefiziten bzw. der fehlenden Aussicht auf eine baldige Anschlußmöglichkeit und durch die Erwartung zu hoher Kosten. Negative Begleiteffekte der Telefoneinführung (z.B. Stress) wurden eher allgemeinen, die Wende begleitenden Veränderungsprozessen zugeschrieben.
Die ersten Tage bzw. Wochen mit dem Telefon wurden von Neubesitzern euphorisch erlebt ("Das ist wie zehn Jahre Weihnachten auf einem Tag"). Das Telefon erwies besonders in der speziellen Umbruchsituation seine hohe Nützlichkeit für die Intensivierung von Verwandtschafts- und Bekanntschaftsbeziehungen. Entgegen mitunter geäußerten Befürchtungen, führt das Telefon nicht zu einer Veroberflächlichung, sondern zu einer Qualitätsverbesserung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Verstärkt wird es auch instrumentell zur Abwicklung von Alltagsgeschäften eingesetzt; für die neuen Nutzerkreise wurde es schnell zum universellen Organisationsmedium ("Generalhilfsmittel für den privaten Raum"). Im Gegensatz zu der raschen Elaboration der Telefonnutzung in städtischen Bevölkerungskreisen wird das Telefon auf dem Land noch oft als optionales bzw. Notfall-Medium gesehen und restriktiver genutzt.
Das Telefon wird auch von den neuen Bundesbürgern als eine Selbstverständlichkeit für das moderne Leben betrachtet. Mit dem Telefon im Jahr 2000 werden fast ausschließlich optimistische Erwartungen verknüpft. Für die Zukunft erwartet man Mobil- und Bildtelefonie zu niedrigen Preisen.