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Internet-Governance - Politiken und Folgen der institutionellen Neuordnung der Domainverwaltung durch ICANN (Nr. 218)

Internet-Governance - Politiken und Folgen der institutionellen Neuordnung der Domainverwaltung durch ICANN

Annette Hillebrand, Franz Büllingen

Internet-Governance - Politiken und Folgen der institutionellen Neuordnung der Domainverwaltung durch ICANN
Nr. 218 / April 2001

Zusammenfassung

Die gegenwärtig beobachtbare Transformation des Internet manifestiert sich insbesondere in der Implementation der neuen Namens- und Nummernverwaltung ICANN. Namen im Internet, die sogenannten Domain Names oder Bereichsnamen, werden mehr und mehr zu einer ökonomischen Ressource. Die Registrierung des eigenen Markennamens als Domain oder die Etablierung des Domainnamens als Marke, wird zu einer zentralen Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg in der Netzökonomie.

Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Erfolgsbedingungen des neuen Governance-Modells der "Co-Regulierung" zu untersuchen, die regulatorischen Entscheidungen von ICANN und ihre Konsequenzen für die Weiterentwicklung des Internet zu analysieren sowie mögliche Konfliktpotenziale auszuloten, die sich aus dem Spannungsverhältnis von nationalem Regulierungsanspruch, globalen Anforderungen und divergierenden Nutzerinteressen ergeben. Obwohl der evolutive Charakter von ICANN eine Vorläufigkeit der Bestandsaufnahme bedingt, lassen sich doch einige stabile Trends aufzeigen.

Zentrale Aufgabe von ICANN ist die Regelung technischer Fragen des Domain Name Systems. Auch in seinem Selbstverständnis ist ICANN eine reine Verwaltungsorganisation, die explizit technische, nicht aber politische Managementaufgaben übernehmen soll. Die Untersuchung der intendierten und nicht-intendierten Folgen von ICANN-Entscheidungen begündet jedoch Zweifel an dieser Auffassung. Auch wenn die Feststellung von Kritikern, bei ICANN handele es sich um eine "Internet-Regierung" mit zu weitreichenden Kompetenzen, überzogen scheint, lassen sich Folgewirkungen identifizieren, die über technische Regelungen weit hinaus gehen, etwa in Bezug auf das Markenrecht, die Nutzungsrechte für Länderdomains oder den Domainnamen-Handel.

Eine Organisation wie ICANN unterliegt aufgrund ihrer globalen Funktion hohen Erwartungen an Legitimität und Transparenz. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass die Definition von Prozessen und das Aufstellen von hinreichend legitimierenden Verfahrensregeln noch nicht zufriedenstellend gelöst ist. Die Frage, wer ICANN kontrolliert, bleibt damit weiterhin virulent, zumal der Einfluss der US-Regierung – nicht zuletzt durch die Kontrolle des A-Root-Servers – auch in Zukunft bestimmend bleibt.

ICANN steht im Brennpunkt politischer, ökonomischer und sozialer Bargainingprozesse zwischen Internet-Usern, der Internet-Industrie und den nationalen Regierungen bzw. internationalen Organisationen. Das Potenzial von ICANN, Entscheidungen mit hoher Eingriffstiefe treffen zu können, die die "Internet-Community", die Wirtschaft und die politischen Akteure unmittelbar betreffen, sorgt auch künftig für Interessenkonflikte und stellt die mühsam implementierten Mechanismen der Konfliktregelung auf die Probe. Noch ist damit jedoch kein grundlegender Wandel des Internet-Governance-Modells der Selbstregulierung verbunden. Es bleibt aber abzuwarten, ob in Zukunft die Balance zwischen dem Einfluss privater und öffentlicher Akteure stabil gehalten werden kann und ob das Organisationsmodell ICANN, dass auf die Beteiligung aller setzt, sich vor dem Hintergrund der weiteren Kommerzialisierung des Netzes als tragfähig erweist.