Digitale Souveränität in Europa – ein erster Benchmark © Photo Credit: lassedesignen - stock.adobe.com

Digitale Souveränität in Europa – ein erster Benchmark

Die COVID-19-Krise hat nicht nur gezeigt, wie wichtig unsere IKT-Infrastruktur ist, sondern auch das Bewusstsein dafür geschärft, von ausländischen Anbietern kritischer Dienstleistungen und Produkte abhängig zu sein. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in der öffentlichen Debatte um strategische Autonomie häufig „digitale Souveränität“ im Mittelpunkt steht. Die Debatten zum Screening von 5G-Lieferanten passen auch hierzu.

Digitale Souveränität - kein einheitliches Konzept.

Basierend auf veröffentlichten Positionen, Stellungnahmen und Berichten auf EU-Ebene sowie für jeden der 27 Mitgliedsstaaten und das Vereinigte Königreich stellen wir fest, dass digitale Souveränität kein einheitliches Konzept ist. Politische Entscheidungsträger schreiben ihr unterschiedliche Gründe und Ziele zu und verwenden an ihrer Stelle ähnliche oder andere Begriffe, z.B. Technologiesouveränität.

Unsere Analyse legt jedoch nahe, dass es trotz der Unterschiede drei gemeinsame Dimensionen digitaler Souveränität gibt: (1) Privatsphäre, (2) Cybersicherheit und (3) Strategie. Während es bei der ersten Dimension vor allem um die Fähigkeit des Einzelnen geht, sein digitales Leben und seine Daten zu kontrollieren, beziehen sich die zweite und dritte Dimension vor allem auf die kollektive Ebene der Staaten sowie der EU, die versuchen, im digitalen Zeitalter (wieder) Kontrolle und Führung zu erlangen.

Die politischen Entscheidungsträger der EU streben nach strategischer Autonomie.

Bedenken ergeben sich aus der ständig wachsenden Bedeutung der digitalisierten Infrastruktur für das Funktionieren von Unternehmen und Gesellschaft sowie aus dem offensichtlichen Mangel an Kontrolle über Daten sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene. Politische Entscheidungsträger in ganz Europa versuchen deshalb, die Kontrolle über einen Bereich (wieder) zu erlangen, der von Firmen mit Ursprung außerhalb Europas dominiert wird.

Das Konzept der digitalen Souveränität geht bereits aus vielen der Initiativen im Rahmen des Digitalen Binnenmarktes hervor. Dies betrifft die Cybersicherheit, aber auch  die strategischen Investitionen in Bezug auf künstliche Intelligenz, Robotik und High Performance Computing. Ziel war, die Forschungs- und Industriekapazitäten der EU zu stärken, da diese Technologien als Schlüsselfaktoren für künftige Innovationen und Wirtschaftswachstum gelten.

Die Europäische Kommission treibt künstliche Intelligenz und Datenwirtschaft durch eine Kombination von politischen Maßnahmen und Förderung voran. Tatsächlich ist ein erheblicher Teil des während der Covid-19-Krise angekündigten Rettungsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro für die Förderung der digitalen Wirtschaft in der EU vorgesehen. Weitere wichtige Initiativen sind ein "einheitlicher europäischer Datenraum", der auf die Bereitstellung von digitalen Werkzeugen aus der EU abzielt, und eine europäische Dateninfrastruktur, GAIA-X.

Digitale Souveränität, um ein Gleichgewicht zu erreichen.

Sowohl die EU als auch die meisten der analysierten Länder scheinen zu betonen, dass weder digitale Souveränität noch strategische Autonomie auf Autarkie oder Protektionismus hinauslaufen sollen. Bei der digitalen Souveränität geht es ganz klar darum, ein Gleichgewicht zwischen dem Erreichen der eigenen Autonomie und der Aufrechterhaltung eines diversifizierten Anbieterportfolios und internationaler Handelsbeziehungen zu finden, die für viele Volkswirtschaften in der EU so wichtig sind.

Frankreich und Deutschland treiben die digitale Souveränität voran.

Etwa die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten folgt immer noch einer engen Auslegung der digitalen Souveränität, die sich vor allem an der Cybersicherheit orientiert. In Westeuropa und in den nordischen Ländern wird die Dimension der Cybersicherheit durch die Dimension der Privatsphäre ergänzt.

Für die europäischen Wirtschaftsschwergewichte Frankreich und Deutschland sowie die digitalen Vorreiter wie Dänemark und Estland umfasst das Konzept der digitalen Souveränität alle drei Dimensionen, während die strategische Dimension derzeit zu dominieren scheint. Frankreich und Deutschland heben sich jedoch ab und wenden das Konzept der digitalen Souveränität am weitesten an, da ihre Strategiepapiere das Konzept sogar zu einer Angelegenheit der Verteidigung europäischer Werte wie Freiheit, Solidarität und Toleranz erheben.

Begrenzung außereuropäischer Anbieter für 5G; Förderung bestehender Allianzen.

Die Beschränkungen, die in einigen Mitgliedstaaten und vor allem in Großbritannien eingeführt wurden, um bestimmte Anbieter vom Rollout von 5G-Netzen einzuschränken oder auszuschließen, sind ein klares Beispiel dafür, dass Länder versuchen, den außereuropäischen Einfluss im Kontext der digitalen Souveränität zu begrenzen. Die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen in den im Bericht analysierten Ländern variieren. Sie scheinen von bestehenden wirtschaftlichen und geopolitischen Allianzen geleitet zu sein.

Die Studie steht in englischer Sprache zum Download zur Verfügung.